Holz – Form – Klang
Fichten- und Ahornholz begleiten mich als im Alpenraum lebender Handwerker im umfassendsten Sinne. Teile unseres Hauses haben wir aus Fichtenholz gefertigt und seit Jahrzehnten wärmen wir uns an kälteren Tagen am Holzofenfeuer. Seit meinen Anfängen als Geigenbauer bin ich voller Bewunderung für die einzigartigen Eigenschaften von erlesenem Resonanzholz.
Die kurzen textlichen Inhalte zu den einzelnen Instrumenten verstehen sich primär als Hilfe beim Betrachten der nachfolgenden Bilder. Ich hoffe, dass sie Ihnen beim Durchblättern und Lesen einen Gewinn bringen und beim Entdecken meines konzeptionellen und gestalterischen Ansatzes auf die Spur helfen.
Die Stimme der Musikinstrumente wird durch die Konzeption, Materialwahl und Arbeitsprozesse entscheidend beeinflusst. Dabei geht es nicht um die Anwendung von Geheimwissen, hingegen schon um die Erfahrung. Diese erlangte ich über die Jahrzehnte beim Bau der vielen Instrumente und in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen.
Geformt und geprägt wird der Klang schliesslich auch von den Musizierenden und mit von der Partie ist natürlich der vom Bogenmacher gefertigte Bogen. Für den guten Ton sind wir so gesehen wohl alle ein wenig verantwortlich.
Klangeinstellungen sollten aus verschiedenen Gründen immer mal wieder kontrolliert werden. Diese spannende Arbeit lohnt sich in jedem Fall. Gerne berate ich Sie dabei und lasse Sie an meiner Erfahrung teilhaben. Wer mehr kennt, sieht mehr, hört mehr, spürt mehr...
Nachfolgend zeige ich eine Auswahl meiner Instrumente, geordnet nach ihrem Entstehungsjahr. Mehrere Geigen, Bratschen oder Celli aus dem selben Baujahr kennzeichne ich zusätzlich durch römische Ziffern I, II, III...
Violine 1980
Meine Instrumente sind eigentlich nicht nummeriert, aber diese Geige ist das Opus 1 – während der vorangegangen Lehrzeit entstanden elf Instrumente, die mit dem Zettel der damals Kantonalen Geigenbauschule Brienz gekennzeichnet sind. Ab 1980 betrieb ich in Brienz verschiedene Werkstätten. Die erste Geige entstand im Dachstock von 'Robis-Hanslis' kleinem Haus bei der Kirche. Später zog ich an die Krummgasse, dann an den Steiner und schliesslich in die Rybi. Die Ateliers wurden grösser, die entstehenden Instrumente nahmen an der Zahl zu, auf einen Maschinenpark verzichtete ich während all der Jahre der Selbständigkeit weitgehend – das Handwerk gab den Takt an.
Viola 1980
Nach Jahren des intensiven Spiels zeigen sich Lackabnutzungen, die zum gebrauchten Instrument gehören.
Meine Instrumente altern unter den Händen der Musizierenden. Das viele Üben und die Spitzenleistungen während der Konzertauftritte hinterlassen ihre Spuren – manchmal eine Schramme – das gehört zum Älterwerden. Das Imitieren im Sinne von Alter vortäuschen kam schon früh (um 1800) in Mode, meine Sache war es nie.
Violine I 1981
Holzwahl, Modell und einzelne Gestaltungsmerkmale erinnern an Einflüsse aus der Mittenwalder Schule – so die feinjährige Fichtendecke wie auch das Material für Boden, Zargen und Hals aus Vogelaugenahorn. Der Korpusumriss wie auch der Formverlauf für Schnecke und F-Löcher lehnen sich an die Klotzschule an. Mit meinem ehemaligen Lehrmeister und späteren Atelier-Kollegen Hugo Auchli, der in Mittenwald ausgebildet wurde, hatte ich einen profunden Kenner der Mittenwalder Schule zur Seite. Bis 1984 war mein Atelier im alten 'Fuchs-Haus' an der Brienzer Krummgasse. Den Inhalt zur von Rudolf Mumprecht gestalteten Karte entwickelten wir gemeinsam in dessen Könizer Atelierhaus. S/w Foto von Heinz Studer
Violine II 1981
Symmetrie und Asymmetrie kommen bei diesem Instrument, speziell am einteiligen Ahornboden, besonders gut zur Geltung. Das asymmetrische Bild der wilden Holzmaserung bricht den 'symmetrisch erscheinenden' Umriss – mit anderen Worten, die äussere Erscheinung meiner Instrumente ist nie perfekt symmetrisch. Schon beim Biegen der Zargen und deren Zusammenbau auf der Innenform führt die handwerkliche Fertigung zu Abweichungen von der strengen Symmetrie. Da der Boden- und Deckenumriss sich schliesslich auf den aus der Form gelösten Zargenkranz beziehen, ergeben sich zusätzliche 'Ungenauigkeiten' – auf die Harmonie im Innern wie im Äussern fokussiere ich mich bei meiner Arbeit, mit perfekter Symmetrie hat diese nichts zu tun.
Auffallend sind an dieser Geige die extrem schräg verlaufenden Flammen am Zargenkranz – auch die Materialeigenschaften beeinflussen das Resultat der handwerklichen Arbeit.
Viola 1981 (gross)
Das Formen-Vokabular des barocken Geigenentwurfs widerspiegelt sich stark vereinfacht formuliert in Kurve und Gegenkurve. Das gilt auch für die F-Loch-Form, die sich einfach aus dem C-Bügel des Umrisses ableiten lässt sowie die Spirale der Schnecke – eine eingerollte Kurve. Natürlich ist alles ein wenig komplexer: Das Studium von Vorbildern der unser Metier prägenden Meister kann helfen. Ich habe mich ebenso gerne bei den 'Urquellen der akustischen Gestaltung' orientiert – im Umfeld der Architektur. Vitruv, Palladio, Alberti, Dürer u.a.m. schrieben zu den umfassenden Themen der räumlichen Gestaltung, so auch zu auftretenden akustischen Phänomenen, die es zu berücksichtigen gilt. 'Die hörenden Augen' geöffnet hat mir die Feldforschung. Griechische Theater, das Pantheon, romanische Kuppelbauten, Flüstergalerien in Palästen und Kirchen der Renaissance und des Barock bis hin zu Konzertsälen der Gegenwart gaben mir wichtige Hinweise für meinen Geigenbau – der Innenraum des Geigenkorpus lässt sich auch als Konzertsaal im Kleinen lesen. Jean Nouvel und Russel Johnson, Architekt und Akustiker des KKL Luzern banspruchten den umgekehrten Vergleich – sie sprachen im Zusammenhang mit ihrem Entwurf des neuen Konzertsaals vom Resonanzraum eines grossen Instruments.
Überwältigend sind die zwischen Architektur und Geigenbau sich offenbarenden Parallelen im schlichten Raum der Michaelskirche Meiringen – dieser Raum klingt seit 1684! Ich erlebe dies regelmässig seit 1977 während der Musikfestwoche Meiringen, für die ich mich seit 1987 engagiere – vorerst als Mitglied der Musikkommission, seit 2001 dann als deren Präsident, seit 2006 zusätzlich in enger Zusammenarbeit mit dem Ehepaar Patrick und Katja Demenga (künstlerische Leitung und Geschäftsleitung).
Violine I 1982
Ein besonderes Augenmerk sind die feurigen, aufwärts verlaufenden Flammen des zweiteiligen Ahornbodens. Die Flammen der Zargen aus Holz vom selben Stamm sind entsprechend ausgerichtet. Bei der Schnecke unterstreicht der Flammenverlauf den leicht elliptischen Drall der Schneckenwindung. Die Flammung des Holzes wie auch die Form der Schnecke sind aber nicht nur Dekor – Gestalt, Masse und spezifische Material- und Wachstumseigenschaften beeinflussen die Funktionalität des 'Klangwerkzeugs' Geige. Herausragend gutes Klangholz fand ich immer wieder im Brienzer 'Buwwald', also sozusagen vor der Haustür. Der Name Bauwald steht in direkter Beziehung zum Begriff Bannwald.
S/w Fotos aus der Serie 'Vom lebenden Baum bis zum fertigen Instrument' von Heinz Studer.
Violine II 1982
Auch diese Geigendecke ist aus einem Fichtenstamm gewonnen, der im Brienzer Bauwald hoch über dem Brienzersee heranwuchs. Im Werkstatt-Tagebuch (Oktober 1982) vermerkte ich lediglich 'sehr schöne Brienzer Fichte'. Die während des Baus gemachten Beobachtungen halte ich in Zahlen und auch in Worten fest. So schrieb ich zu dieser Decke: 'Gewicht vor der Ausarbeitung 179 g / nach der Ausarbeitung ohne Bassbalken 70 g / gute Festigkeit, gut fokussierter, heller Klopfton.' Der Ahornboden ist nicht sehr tief geflammt; als Besonderheit ist in meinen Aufzeichnungen der 'Glanz!' des Holzes vermerkt. Diese Notizen im Zusammenhang mit den bei der Verarbeitung gemachten Beobachtungen und Erfahrungen dienen lediglich mir selber. Als absolute Rezeptangaben für nachfolgende Instrumente können sie nur bedingt herbeigezogen werden – trotzdem sind Arbeitsaufzeichnungen bei systematischer Erfassung eine gute Stütze, vor allem auch zum Reflektieren des eigenen Tuns.
Viola I 1982 (gross)
Die gespaltene Fichtendecke aus dem Bauwald (1964) zeigte schon bei der Auswahl – nach fast zwanzigjähriger Reifezeit im Holzlager von Ulrich Zimmermann – und dann auch bei den Zwischenmessungen während des Entstehungsprozesses herausragende akustische Qualitäten, so dass ich mich entschloss, die zum Vorschein gekommene Harzgalle (im Bereich der rechten oberen F-Lochbeere) auszusetzen und das vielversprechende Klangholz weiter zu verarbeiten. Zum Aussetzen der Harzgalle verwendete ich Holz, das ich im Innern der Decke auf der Gegenseite vor der Ausarbeitung gewinnen konnte. Eintrag im Werkstatt-Tagebuch: 10. März 1982, 'Viola tönt. Klanglich bin ich sehr zufrieden ... '
Viola II 1982 (gross)
Einträge im Werkstatt-Tagebuch:
15. Oktober 1982 'Seit zwei Tagen arbeite ich an einer (neuen) Viola, Zwilling zur Vorangehenden, mindestens den Ahornboden betreffend'.
Ende Oktober 1982, Korpus fertig und zugeleimt, Inschrift auf der Innenseite der Decke '... Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen ...'.
5. November 1982 'Viola tönt! Kräftig und schön'. (Das Instrument ist noch nicht lackiert.)
Ein Stellenangebot von Charles Beare, mindestens zwei, lieber fünf Jahre für ihn in London zu arbeiten fordert mich zur umfassenden Standortbestimmung. Ich entscheide mich für den Neubau von Instrumenten im eigenen Atelier in Brienz – hier finde ich die nötige Ruhe und Konzentration.
Violine I 1983
Eine von Stradivaris Formen (Modell) prägte hier den Umriss des Korpus. Entsprechend der kräftigen Rand- und Eckgestaltung am Resonanzkörper sind die Fasen an der Schnecke stilistisch dazu passend ausgeführt. Sichtbare Anrisslinien z.B. auf der Rückseite der Schnecke geben Hinweise auf die Arbeitsweise. Ähnliche Arbeitsspuren werden sich an fast allen meiner Instrumenten entdecken lassen.
Arbeitsspuren auf Instrumenten und auch an Werkzeugen (z.B. Formbrettern) aus Antonio Stradivaris Werkstatt sowie die in der Epoche verwendeten Werkzeuge sind mir wichtige Quellen zum Verständnis der Denk- und Arbeitsweise der Altvorderen – Konzepte lassen sich nicht an der äusseren Erscheinung, der Fassade der Instrumente ablesen.
Violine II 1983
Modell und einzelne Gestaltungsmerkmale verweisen auf Vorbilder aus der frühen Stradivari-Schule. Der gefugte Ahornboden im halbtangentialen Schnitt wie auch die Fichtendecke zeigen an der Handstelle natürliche, durchs Spiel entstandene Lackabnutzungen, die den Aufbau der Lackschichten aufschliessen. Hingegen hinterlässt das Spalteisen (Schindeleisen) an der Decke keine sichtbaren Werkzeug-, Arbeitsspuren. Da aber die Spaltrichtung dem Faserverlauf des Fichtenholzes entspricht, wird mit dem Spalten eine unabdingbare Voraussetzung für eine optimal schwingende Resonanzdecke erreicht. S/w Foto von Heinz Studer.
Violine III 1983
Meine Form HRHG liegt diesem Instrument zu Grunde – das G bezieht sich auf Guarneri. Das Instrument entstand in der zweiten Jahreshälfte 1983 und erklang am 17. Oktober zum ersten Mal – gab seinen 'Geburtsschrei' von sich. '3/4/5' schrieb ich mit Bleistift auf die Innenseite der Decke. Anlässlich einer Reise nach Oberitalien im Frühsommer dieses Jahres befasste ich mich speziell mit der Architektur von Sant'Ambrogio in Mailand.
In Cremona vertiefte ich mich in die im Palazzo del Comune ausgestellten Geigen 'Lo Stauffer' von Guarneri del Gesù aus dem Jahre 1731 und 'Il Cremonese' von Antonio Stradivari von 1715. Mit Stift und Skizzenblock hielt ich meine Eindrücke fest – ich erinnere mich an viele Details, als wäre es gestern gewesen und auch an die damals im Ausstellungsraum herrschende Ruhe – noch kein Massentourismus, der mich in meinem Beobachten ablenkte.
Pochette 1983
Der überdimensioniert lang erscheinende Hals der Tanzmeistergeige dient ihrer Spielbarkeit; so kann dieses Instrument problemlos auch von einer erwachsenen Person gespielt werden. Die klein eingerollte Schnecke passt zur kleinen Korpusgrösse (Länge ca. 18 cm), der etwas gross erscheinende Wirbelkasten wiederum muss seiner Funktion entsprechend den vier Stimmwirbeln Platz bieten.
Viola 1983 (mittelgross)
Unregelmässigkeiten der Flammen bringen eine optische Spannung in die ansonsten gleichmässige Zeichnung des Ahornbodens. Die Details der Eckgestaltung veranschaulichen, dass eine stimmige gestalterische Aussage nicht allein von der handwerklichen Perfektion der Einlagen abhängt.
Diese Bratsche ist auf meiner mittelgrossen Form gebaut, die ich, basierend auf reinen, geometrischen Grundkonstruktionen in den frühen 1980er-Jahren entwickelte. Geometrie in Kombination mit Vorgaben der harmonischen Saitenteilung eröffnen einen konzeptionellen Zugang zum Bau von Saiteninstrumenten. Sie allein bürgen aber nicht für ein gutes Klangergebnis.
Viola I 1984 (gross)
Mein grosses Bratschenmodell entstand in Anlehnung an Konstruktionsvorlagen von Antonio Stradivari (1644-1737). Dabei stützte ich mich auf Hinweise, die sich etwas versteckt auf dem zum Modell passenden Formbrett finden lassen sowie den teils gut ersichtlichen Konstruktionslinien auf den, dem Modell zugeschriebenen Planskizzen. Die frühen Arbeiten von A. Stradivari sind unverkennbar vom Stile Nicola Amatis (1596-1684) beeinflusst, so z.B. die Art der Rand- und Eckgestaltung, was ich bei dieser Bratsche nachempfand. Mir ging es in meinem Geigenbau nie um das vorbildgetreue Kopieren – die Realkopie fand ich nie erstrebenswert, der Begriff Idealkopie gefällt mir schon besser. Bis heute habe ich Freude an den beiden neckischen 'Holzfehlerchen' auf der Decke (Faserwirbel eines auslaufenden Astes) und dem Boden (schwarzes Ästchen in der unteren Flanke, im Bereich des Unterklotzes). S/w Foto: Mit Nachbarschaftshilfe gelang der Umzug ins Chalet am Steiner.
Viola II 1984 (gross)
Die beiden Violas aus dem Jahre 1984 entstanden unmittelbar nacheinander. Sie sind sich in vielen Details sehr ähnlich, gerade beim Vergleich der Schnecken, F-Löcher und Ecken kann das gut nachvollzogen werden.
Bei genauerem Hinschauen lassen sich aber durchaus gestalterische Unterschiede beobachten. Das wiederholte Bauen von Instrumenten auf der selben Form kann mit dem Variieren eines Grundthemas in der Musik verglichen werden.
Auffallend ist die in Gegenrichtung verlaufende Mittelzarge, zu sehen auf der einen Seitenansicht – eine Spielart, die man z.B. auch an Instrumenten von Giuseppe Guarneri del Gesù immer wieder beobachten kann. Es gibt keine überzeugende Begründung für diese Umdrehung – vielleicht einfach eine Unaufmerksamkeit beim Biegen der Zargen? Ich will mich nicht daran erinnern.
Zu den stilistischen Merkmalen eines Instrumentenmodells sowie zur persönlichen Handschrift eines Geigenbauers zählt auch das Modell des F-Lochs. Dabei geht es bei den F-Löchern nicht primär um deren Formverlauf, sonder vielmehr um deren eingrenzenden Masse auf der Decke sowie um das Material, das um die Löcher herum stehen bleibt – da kommen mir Erinnerungen an den in diesem Zusammenhang nicht ganz ernst zu nehmenden Text 'Zur soziologischen Psychologie des Lochs' von Kurt Tucholsky, den ich damals las und einen Vermerk dazu im Werkstatt-Tagebuch notierte. Neujahrskarte 1984, 'Die Schnecke – meine Lehrmeisterin. Es grüsst freundlich Miss Strad'.
Violine I 1985
Wie schon die Viola I und Viola II aus dem Vorjahr 1984 ist auch diese Geige in gestalterischen Details von den Arbeiten von Nicola Amati (1596-1684), dem wohl prägendsten Cremoneser Geigenbauer seiner Zeit, beeinflusst. Für das den Klang bestimmende Konzept – Modell, Wölbung, Ausarbeitung von Decke und Boden ...) oridntierte ich mich bei den Arbeiten von Giuseppe Guarneri del Gesù (1698-1744). Die Lebensdaten der beiden überschneiden sich also nicht, beide gehören sie aber zu den inspirierendsten Meistern im Geigenbau schlechthin. Diese Geige legte ich an meiner Meisterprüfung vor. Mit Bleistift schrieb ich auf die Deckeninnenseite 'Benvenuto Meisterlein'. S/w Foto: Monsieur et Madame Jaun de Rougemont (von ihm kaufte ich die gespaltene Fichtendecke für das 'Meisterinstrument').
Violine II 1985
Kräftige Farben haben auf Gestalter.innen schon immer eine grosse Faszination ausgeübt. Griechische Tempel waren einst bunt bemalt, restaurierte Fresken der berühmtesten italienischen Maler strahlen nach entfernter Patina (meist Verschmutzungen) in ihrer buntfarbenen, ursprünglichen Leuchtkraft, Geigenlacke verschiedener Schulen der Blütezeit des Geigenbaus funkelten in vollem Lackkleid goldgelb, orange und rot – das darf auch heute noch sein.
Der Umgang mit Patina wird seit den 1980er-Jahren vermehrt auch im Geigenbau diskutiert und gar nach wissenschaftlicher Sichtweise reflektiert, wobei man vor allem die natürlich entstandene von der künstlich erzeugten Patina unterscheidet. Die Erstere begleitet das Altwerden, die Zweitgenannte will Alter vorgeben.
Violine 1986
Die den Harzen des Lacks eigene, goldgelbe Farbe hat durch den Alterungsprozess noch an Lebendigkeit gewonnen – wobei die Grundierung und der Lackaufbau entscheidend zum leuchtenden Lackbild beitragen, was wiederum aber bei zweidimensionalen Abbildungen nicht voll zur Geltung kommen kann. Am während des Musizierens bewegten Instrument, zeigt sich das Spiel der Flammen besonders eindrücklich. Die Lichtbrechung an den verschiedenen Lackschichten erschliesst dabei die Tiefe des Lackkleides.
Auffallend ist der ganze, also nicht gefugte Ahornboden im halbtangentialen Schnitt. Wie die Decke und der Boden ist hier auch die Schnecke in Schrägansichten gezeigt. Gerade bei der Schrägansicht des Bodens kommt das Flammenbild gut zur Geltung. Die Abwicklung der Ansichten der Schnecke erlaubt es, dem Verlauf der hohl gestochenen Windungen zu folgen.
Violoncello 1986
Der gleichzeitig rück- und vorausblickende Janus-Kopf auf der vorangehend abgebildeten Neujahrskarte bezieht sich auf die damals in meinem Atelier anstehenden Arbeiten. Das Violoncello 1986 baute ich während der Wintermonate 1985/86 und damals war ich auch mit der Restaurierung der Bratsche von Hans Krauchtaler aus dem Jahre 1699 beschäftigt (Sammlung Historisches Museum Bern) – gedanklich hielt ich Rück- und Vorausschau. Ich entschied mich, vor allem den kompromisslosen Neubau von Streichinstrumenten weiter voranzutreiben.
Viola 1988 (klein)
Ich baute Bratschen in drei verschiedenen Grössen. Hier mein kleinstes Modell mit einer Korpuslänge von lediglich 385 mm und einer entsprechend kurzen Saitenmensur. Masse in Millimeterangaben lenken vom ursprünglichen Entwurf ab. Hingegen kann die Masseinheit (Modul) die in ganzzahligen Vielfachen zu den angestrebten Proportionen führt, viel über die konzeptionelle Arbeit verraten. Der Steckzirkel als Mess-Werkzeug ist auf historischen Abbildungen von Gestaltern ein oft aufgeführtes Attribut. Die ikonographische Deutung verweist darauf, dass der Porträtierte im Wissen des Messens und Konstruierens unterrichtet ist. S/w Foto von Heinz Studer.
Violine I 1989
Die beiden Seitenansichten des Korpus zeigen die unterschiedlichen Längswölbungen von Boden und Decke.
Der Boden ist bei dieser Violine höher und runder, die Decke dafür niedriger und flacher verlaufend gewölbt. Ab 1988 sieht man dieses Wölbungs-Merkmal an fast allen von mir konzipierten Instrumenten, auch an denen, die Jahre später Lernende der Geigenbauschule Brienz unter meiner Anleitung angefertigt haben.
23. Mai 1989, Eintrag im Tagebuch: 'Richard Tognetti und Diana Baker proben im Rybi-Atelier – Mozart, Brahms, Janacek, Holliger, Saint-Saens. Die 'Gagliano' hält, der 'Bechstein' von 1905 bricht fast ein.'
> aco.com.au
Violine II 1989
Die bei der vorangehenden Geige beschriebenen Merkmale der Längswölbungen von Decke und Boden, treffen auch für dieses Instrument zu. In meinen Arbeiten nehme ich immer Bezug auf das speziell ausgesuchte Material, insbesondere auf dessen spezifisch physikalischen Eigenheiten. Neben dem Material sind es Modell, Wölbung, Ausarbeitung, Zargenhöhe... die gemeinsam die Qualität des Resonanzkörpers bestimmen. So gesehen gibt es bei meinen Geigen, Bratschen und Celli keine exakt gleichen Wölbungen. Ich war auch nie bestrebt, 'sklavisch' Wölbungen nach Vorbildern von Originalen oder Gipsabgüssen zu kopieren – das geschulte Auge und die geübte Handarbeit lenken die 'denkenden Hände' bei der Bearbeitung des jeweiligen Materials.
Viola 1989 (klein)
Notiz im Werkstatt-Tagebuch: 'Makelloses Fichtenholz von Monsieur Jaun aus Rougemont – absolut im Spalt, feinjährig im Brustbereich und zu den Flanken hin etwas breiter werdende Jahrring-Abstände. Die gespiegelten Deckenhälften zeigen dank dem perfekten radialen Einschnitt die kräftigen Markstrahlen.' Dem Fachmann waren all diese Eigenschaften bereits beim Einkauf des Holzes unverzichtbare Hinweise auf ein Klangholz bester Qualität.
Der attraktiv geflammte, einteilige Ahornboden wurde vom Resonanzholzhändler mit der Qualität #9 taxiert – was sich natürlich auf den Einkaufspreis auswirkte. Mein Lehrmeister und späterer Mitarbeiter Hugo Auchli begleitete mich wiederholt zum Holzeinkauf nach Mittenwald, wo er als ehemaliger Lernender der Mittenwalder Geigenbauschule immer ein gerne gesehener Gast war, und mir war er gleichzeitig ein wertoller Türöffner bei den Holzhändlern – so hiess es z.B.: 'Hugo, schau doch mit Hösli noch den Stapel dort hinten durch – dann bitte aber wieder schön hinschlichten!'
Violine I 1990
Der verwendete einteilige Ahornboden bricht mit seiner nach rechts oben verlaufenden 'Flammung' auch bei dieser Geige die ansonsten streng symmetrische Rückansicht. Die reine Symmetrie ist keine Voraussetzung für die klangliche Funktion. Vielmehr dient letztlich im Geigenbau die Formgebung am Verborgenen wie aber auch am Sichtbaren dem Klang – treu einem mich überzeugenden Grundsatz aus Architektur und Design: 'Form follows function'. Seit 1987 entstanden mein Instrumente im ebenerdigen Atelier der alten Rybi, der ehemaligen Brienzer Ölmühle, die unsere Vorbesitzer während gut 100 Jahren als Fabrikationsstätte für diverse Holzartikel nutzten – z.B. auch Spielwaren; im weitesten Sinne führe ich diese Tradition mit meinem Instrumentenbau weiter. Die Buchsbaumkugeln vor dem Werkstatt-Eingang nehmen auf die Symmetrie der Hausfassade Bezug – eine Referenz an ein barockes Gestaltungsprinzip. Es sind dann allerdings die Abweichungen von der reinen Symmetrie, die den barocken Konzepten – sei es in der Architektur, Gartengestaltung, Operninszenierung... oder eben dem Geigenbau 'die Würze geben'.
Violine II 1990
Der einteilige Ahornboden ist aus dem selben Stamm geschnitten wie der von Violine I 1990. Die beiden Böden waren Reststücke eines Stammes, aus dem Celloböden geschnitten wurden; da sie aber je nur noch ca. 40 cm lang waren, dienten sie beide 'nur noch' als ganze Violinböden. Die Violinen I und II 1990 sind zwei sich sehr nahe stehende Geschwister – verwandtes Holz, gleiche Entstehungszeit. Oft sind auf den Böden meiner Instrumente (auf der Längsachse) Holznägel zu beobachten. Sie definieren in einem frühen Zeitpunkt des Entstehungsprozesses die genau Platzierung von Boden und Decke auf dem Zargenkranz. Sie garantieren, dass die während der Entwurfsarbeit geplanten Grössen (Achse, Masse, Winkel etc.) eingehalten werden. Manchmal kommen die mit dem Holznagel verschlossenen Bohrlöcher unter die Einlagen zu liegen, bleiben also dem späteren Betrachter verborgen (z.B. bei der grossen Viola I 1984)
Violine III 1990
Die Dendrochronologie (Jahrringforschung) gibt Auskunft über materialspezifische wie auch geschichtlich bedingte Eigenarten des untersuchten Holzes. Die Jahrringabfolge ist so etwas wie ein 'Strichcode', der mich beim Tarieren speziell der Geigendecke leitet. Im sich wiederholenden 'Hell-Dunkel' der Jahrringe – also im Verhältnis von Früh- zu Spätholz – schlummern wichtige Informationen für die Ausbalancierung einer Geigendecke. Ein Strichcode-Scanner würde mir aber bei der Beobachtung des Materials kaum dienen. 'Erfahren' und 'Begreifen' sind die Schlüsselbegriffe, die mich in meiner Arbeit leiten. Absolute Masse von sogenannten Referenz-Instrumenten zu kopieren, führt nicht zum Ziel, denn es gibt keine identischen Stücke Holz. Selbst Stücke desselben Baumes – wie bei den vorangehenden Geigen I und II aus dem Jahre 1990 – sind trotz ihrem sehr ähnlichen Aussehen nicht gleich.
Violin Forensic, Querschnitte des Korpus an max. und min. Breiten.
Diese CT-Scans zu der oben abgebildeten Geige könnten dem Dendrochronologen zur zeitlichen Eingrenzung der Jahrringabfolge (speziell der Decke) dienen. Fachpersonen können aus den Micro-CT-Scans noch weit mehr Informationen herauslesen: Ausarbeitungsstärken, durch mechanische Belastung provozierte Kriechdeformationen, 'Holzart', Verleimungen ...
Auf dem Boden der mittleren Abbildung kann man die Lage des aufgeleimten Zettels gegenüber dem Bassbalken als feine Linie ausmachen und im Vergleich aller drei Querschnitte Rückschlüsse auf die unterschiedlichen Ausarbeitungsstärken des Bodens und der Decke ziehen. Scans vom Micro-CT Lab Wien.
Violine IV 1990
Mein Tagebucheintrag hält Angaben zum Holz, zu einzelnen Massen und mehr vom nachfolgend abgebildeten Instrument fest. Was hier nicht steht: Am fertigen Instrument nahm ich vor dem Lackieren weitere Messungen und Abstimmungsarbeiten vor. So bearbeitete ich fast bei allen meiner Instrumente die Hohlkehlen-Bereiche des im 'Weissbau' fertig gestellten Instruments von Klopftönen geleitet ein letztes Mal mit der Ziehklinge, was ein 'ganzheitliches' Abstimmen des Resonanzkörpers ermöglicht.
Beim Nachlesen der oft knapp gehaltenen Notizen und Durchschauen alter Fotos rieche ich förmlich das damals noch frisch eingerichtete Atelier auf der Rybi. 'Förmlich riechen' – geht das? Für Handwerker, die mit allen Sinnen ihr Schaffen begleiten, können Gerüche oder Farben durchaus auch Formen und Klänge bedeuten – umgekehrt assoziieren Formen und Klänge oft auch Farben und Gerüche – beim Musizieren geht es letztlich auch um dieses Phänomen. So verzauberte das Abegg-Trio im Dezember 1990 das Atelier in einen Kammermusikraum. S/w Foto von Madeleine Zmoos-Abplanalp.
Der 'Zwilling' zum Boden der abgebildeten Geige wartet noch auf sein Glück, seiner Zweckbestimmung zugeführt zu werden. (Das Holz der Violine I 1985 stammt aber auch vom selben Bergahorn.)
Violine V 1990
Die Fichtendecke dieser Geige – datiert 1979 – habe ich bei einem Kollegen eingetauscht. '1979' weckt Erinnerungen an die intensiven Ausbildungsjahre in der Gemeinschaft mit den Meistern und den andern Lernenden an der Geigenbauschule Brienz. Wir waren eine verschworene Gruppe – ähnliche Interessen, schmales Budget, gemeinsame Einkaufstouren und Ausflüge zu Holzhändlern und in Geigenbauzentren mit Übernachtungen in einfachsten Unterkünften (auf der Couch einer bis anhin unbekannten Studentin in Cremona oder auch mal in einem Heuschober in der Leutasch), gleiche Altersgruppe, 'Sturm und Drang' eben – damals gewachsene Beziehungen halten bis heute. Man telefoniert sich um Fachfragen zu diskutieren, man organisiert gemeinsam Projekte, man schwelgt in alten Erinnerungen.
Neben den knappen Aufzeichnungen zu den Ausarbeitungsdaten des vorliegenden Instruments sind es auch diese, z.B. durch eine Jahreszahl assoziierten Geschichten, die – als wäre es gestern gewesen – gedanklich wieder hochkommen. Mit Marc Soubeyran zusammen verbrachte ich meine vierjährige Grundausbildung. Wir feierten unseren Lehrabschluss mit einer Maskerade, wir schmückten die Baumkrone auf dem Schulhof mit dem obligaten 'Abschluss-z'Vieri' – Brote, Käse, Salami, ein (vielleicht zwei) Fläschchen Wein, ein 'Schabzigerstöckli' und der 'Haslikuchen' in Geigenform baumelten an den Ästen der Linde. So verabschiedeten wir uns vor unserer, wie sich zeigen sollte, so ganz unterschiedlich verlaufenden Wanderschaft. Am letzten Arbeitstag entstand dann noch die etwas andere Schnecke als Erinnerung an die prägenden Lehrjahre.
> soubeyranviolins.co.uk
Viola 1990 (klein)
Die Bezeichnungen 'klein', 'mittel' und 'gross' bei den Bratschen beziehen sich auf die Grösse der jeweils abgebildeten Instrumente. Die Grössenmasse haben hingegen nicht direkt etwas mit der 'Grösse' des Klangs zu tun. Beim Beschreiben klanglicher Eigenheiten von Musikinstrumenten werden gerne positiv konnotierte Adjektive verwendet – voller, runder, warmer, goldener Klang – ich halte mich gerne an möglichst objektiv kontrollierbare Feststellungen wie z.B. ausgeglichener, gut ansprechender und obertonreicher Klang auf den einzelnen Saiten wie über alle Saiten im Ganzen...
Violine 7/8 1991
Kleinere Instrumente müssen nicht zwingend einen 'kleineren Ton' haben. Die Konzeption stützt sich auch hier vorzugsweise auf eine dem Gesamtentwurf zu Grunde liegende Masseinheit (Modul). Mit dieser Einheit lassen sich alle für den Bau eines Instruments relevanten Masse finden. Das gilt insbesondere auch für die Masse, die am Äusseren eines Instruments, also an dessen «Fassade» nicht unbedingt abgelesen werden können.
Im Säulendurchmesser und der Säulenordnung versteckt, lässt sich an antiken Gebäuden die Masseinheit für die Planung des Ganzen finden – das Modul – was die 'Alten' zur Aussage bewog: 'Die Säule ist das Mass aller Masse'. Dieser Aussage im übertragenen Sinne folgend, entwickelte ich alle meine Instrumenten-Modelle. Die funktionelle Konzeption und die Gestaltung im 'Grossen wie im Kleinen' unterliegen den selben Denkprinzipien.
Violine 1991
Antonio Stradivaris Geigen zeichnen sich oft durch eine 'kräftige' Randgestaltung mit ebenfalls ausgeprägt 'starken' Ecken aus – was bei seinen Instrumenten nie plump aussieht. Entscheidend für die 'klassische' Eleganz seiner Arbeiten sind mitunter die Linienverläufe der Umrisse in Zwiesprache mit denen der Einlagen. Stradivaris original erhaltenen Formbretter verweisen klar auf von ihm angewandte geometrische Konstruktionsprinzipien; im Äusseren verraten seine Instrumente hingegen seinen freien, aber nie zufälligen Umgang mit dem eher strengen Konzept. Diese Eigenheit von Stradivaris mittlerer und späteren Schaffenszeit haben meinen Geigenbau beeinflusst.
Viola Quartett 1991 (gross)
Die Viola gehört zusammen mit zwei Violinen und einem Violoncello zu einem aus dem selben Holz gefertigten Streichquartett. Dieses entstand aus Anlass des Jubiläums 700 Jahre Eidgenossenschaft. Im Auftrag des Eidgenössischen Orchesterverbands durfte ich eine Sonderschau zum zeitgenössischen Geigenbau konzipieren, die im Palais Besenval in Solothurn grossen Anklang fand – die insgesamt 16 Instrumente wurden von namhaften Musiker.innen in mehreren Konzerten 'kreuz und quer' verglichen. > Projekte
Der Kinnhalter aus Olivenholz auf der Quartettbratsche geht auf eine Zusammenarbeit mit Sándor Végh zurück.
Kinnhalter und Schulterstützen sind nützliche Hilfsmittel, meistens des modernen Geigenspiels. Im Bestreben, ein möglichst freies, nicht in einer fixen Haltung verhaftetes Musizieren zu ermöglichen, entwickelte ich diese Kinnhalter-Idee. Das Resultat nimmt auf den Umriss des Geigenkorpus und den Körperbau der musizierenden Person Bezug – so ist und bleibt der Kinnhalter mit dem Namen 'HRH Buffone' immer ein Unikat.
Violoncello Quartett 1991
Das Cello entstand zur oben erwähnten Ausstellung in Solothurn und war damals noch frisch im Lack.
1995 wurde es dann anlässlich der Ausstellung und Konzerte am Istituto Svizzero di Roma durch die beiden Berner Cellisten Patrick und Thomas Demenga effektiv wach geküsst.
Violine I 1992
Ca. 1.5 cm über dem Steg ist auf der Resonanzdecke ein schwacher Zirkeleinstich zu erkennen; er markiert die Mitte der Korpuslänge. Zwischen Steglinie und diesem Einstich misst sich die Masseinheit, das Modul nach dem das ganze Instrument geometrisch konzipiert ist. Ich habe die Modul-Theorie 1988 als Stipendiat am Istituto Svizzero di Roma entwickelt – sie wurde später zu einer der Grundlagen meiner Lehrtätigkeit an der Geigenbauschule Brienz. Im Vergleich mit der in der Architektur beobachteten Vorgehensweise beim Entwickeln von Grundriss, Raumvolumen sowie äusserer Erscheinung eines Gebäudes – einzig mit den Werkzeugen 'Zirkel und Richtscheit' (Albrecht Dürer) – schloss ich auf das vergleichbare Vorgehen anderer Gestalter, insbesondere auch der Geigenbauer des Barock. Das Modul lässt sich durch das ganzzahlige Teilen eines Ausgangsmasses finden. Meine Modul-Theorie fusst auf den Gesetzmässigkeiten, die bei der harmonischen Saitenteilung erfahren werden können. Sehr gut kann dieser Zirkeleinstich auch bei der kleinen Violine 7/8 1991 beobachtet werden. Es versteht sich von selbst, dass die Masseinheiten (Modul) der beiden Instrumente von einender abweichen.
Violine II 1992
Zu dieser Zeit 'purzelten' die Geigen nur so von den Werkbänken meines Ateliers. Die Auftragslage erlaubte es, dass ich Stefan Gerny als Gesellen und Stephan Schürch als Lernenden beschäftigen konnte. Beide stellten sich mit ihrem vollen Engagement in den Dienst meiner Ideen und Anweisungen – selbst, wenn es um den Bau einer Schneehütte für die Kinder des Patrons ging (natürlich während der bezahlten Arbeitszeit). Übrigens bin ich überzeugt, dass beim Bau einer Schneehütte durchaus auch die Statik eines Gewölbes erlebt, begriffen werden kann, was wiederum dem Verständnis einer Geigenwölbung dienlich sein kann. Das Gewölbe eines Iglus ist enorm stabil, ähnlich gewissen Wölbungsbereichen einer Geigendecke – dieser Vergleich verlangte nun allerdings nach einer ausufernden Theoriestunde über die statische und dynamische Funktion der Geigendecke.
Violine III 1992
Die drei Geigen aus dem Jahr 1992 sind in der Farbgebung des Lacks unterschiedlich. Alle drei Instrumente wurden nach ihrer Fertigstellung im 'Weissbau' vorerst an der Sonne gebräunt (auf das Beizen mit chemischen Substanzen verzichte ich seit jeher). Grundierung und Grundlack erfolgten nach den selben Rezepturen und Anwendungsmethoden, was nicht heisst, dass das Prozedere identisch war. Dreimal vermeintlich dasselbe tun führt nicht zwingend dreimal zum selben Resultat – das ist auch beim Kochen so.
Die 'Anfärber' des Farblacks hingegen unterscheiden sich von Instrument zu Instrument – verschiedene Pigmente sowie mit Metallsalzen gefällte Farblösungen kamen zum Einsatz.
Violoncello 7/8 1992
Mit 746 mm Korpuslänge und entsprechend kurzer Mensur kann dieses Cello als 7/8-Cello bezeichnet werden. Solche Angaben sind aber nicht absolut zu verstehen. Es wurden oft auch umschreibende Grössenangaben verwendet – kleines Modell oder aus heutiger Sicht etwas verfänglicher 'Damenmodell'. Ich kenne 'gross' klingende Celli mit kleineren Ausmassen.
Das hier abgebildete Cello ist sehr hell lackiert, auf die Andersfarbigkeit von Grundlack und Farblack wurde bewusst verzichtet. Das Instrument baute Stefan Gerny unter meiner Aufsicht, was so auch auf dem Zettel zu lesen ist: 'Stefan Gerny / sub disciplina Hansruedi Hösli / fecit anno 1992'
Violine I 1993 (barock)
Alte, im Laufe der Zeit modernisierte Instrumente lassen sich nur durch das Studium des ursprünglich barocken Konzepts verstehen. Diese Geige diente der Erforschung der alten Konstruktionsprinzipien und dem Nachvollzug der barocken Baumethoden. Dabei gaben z.B. die verwendeten Werkzeuge – vom Formbrett bis zu den zum Leimen benutzten Spann-Vorrichtungen – wichtige Informationen. Abgestützt auf gewonnene Erkenntnisse entstanden Jahre später an der Geigenbauschule Brienz in Zusammenarbeit mit Lernenden und Meistern 8 Violinen, 3 Violen, 2 Celli und ein Kontrabass zum Jubiläum 50 Jahre CAMERATA BERN. > Projekte
Violine II 1993
Diese Geige ist aus dem selben Holz gebaut wie die Quartett-Instrumente von 1991. Im Vergleich der Böden und Schnecken lässt sich das gut nachvollziehen. Wie schon an anderer Stelle gesagt, es gibt keine zwei gleichen Stücke Holz, selbst wenn sie vom selben Baum stammen. Hingegen bringt mir die Verarbeitung von 'verwandtem' Material in der Regel Bestätigung und Sicherheit. Die Wölbungsarbeit und die Ausarbeitung der Klangplatten in Anlehnung an ein sich in vielen vorangehenden Instrumenten bewährtes 'Grundrezept' verlangt immer wieder unverminderte Konzentration beim Austarieren. Die letzten Feinheiten bezüglich Funktion und Aussehen werden nach dem Aussägen, Abstossen und Hobeln (stark geflammtes Holz erfordert oft auch das Zahneisen) mit den Ziehklingen 'herausgekitzelt'. Zirkel, Waage, Stimmgabel... und vor allem mein Gehör und Gespür sowie das Augenmass sind meine sich gegenseitig ergänzenden Messwerkzeuge. Den optischen Finish vor der Lackierarbeit erreiche ich durch das Schleifen, vielmehr eigentlich das Polieren des Holzes mit Schachtelhalm. Diesen finde ich auf Wanderungen im 'Rosenlaui' unter der Wetterhorn-Nordwand (unterdessen im eigenen Garten). Auf das bei der Holzverarbeitung üblich gebräuchliche Schleifpapier verzichte ich weitgehend.
Violine III 1993
Neben dem 'schönen Schein' einer Geige – der Holzmaserung, der Lackierung, einer schön gestalteten Ecke oder einer schön gestochenen Schnecke ... – ist vielmehr das 'Unscheinbare', das nicht direkt Sichtbare entscheidend für die Qualität des Ganzen; bei einem Musikinstrument geht es schliesslich um dessen Klang – es ist in den Händen der Musiker.innen in erster Linie ein Klangwerkzeug. Die Materialeigenschaften beeinflussen den Klang entscheidend. Dabei spielt die Anisotropie des Baustoffes Holz neben dessen entsprechender Bearbeitung eine zentrale Rolle. Die Anisotropie wirkt sich auf die Elastizität, Festigkeit, akustische Eigenschaften, Härte, Quell- und Schwindverhalten ... aus. All diese Eigenschaften lassen sich messen und zum Teil auch mit Werten von Referenzinstrumenten vergleichen. Numerisch erfasste Messdaten einzelner Eigenschaften können den umfassenden Gestaltungsprozess bei der handwerklichen Fertigung einer Geige begleiten. Mir ist hingegen das vernetzte 'relative Messen' – das Augenmass, das Gehör, das Gespür eine verlässliche Begleitung bei meinen klanggestalterischen Arbeiten; einzelne absolute Werte helfen mir bei der Suche nach der Ganzheit nur bedingt.
Violine IV 1993
Kräftige Ränder und Ecken fallen hier bei der noch nicht stark abgenutzten Violine speziell auf. Streichinstrumente werden in den Händen der Musizierenden oft sehr stark beansprucht. Meine Instrumente wollen nicht nur äusserlich gefallen. Das Klangwerkzeug Geige soll über viele Jahrzehnte – bis hoffentlich Jahrhunderte hinweg den immensen Kräften des Saitenzugs aber auch den um ein x-Faches gesteigerten Belastungen beim kraftvollen Bespielt-Werden Stand halten. Vielleicht werden dereinst Kolleginnen und Kollegen abgenutzte Ecken und Ränder an von mir gebauten Instrumenten flicken – schön, wenn sie das erleben dürften.
Viola I 1994 (mittelgross)
Mit der vorliegenden Viola nahm ich die Arbeiten an einer Serie wunderbarer Ahornboden in Angriff – der Weinhändler würde sagen, ich habe ein neues Fass angestochen. Die aus dem selben Stammabschnitt etwas knapp eingesägten Ahornstücke schrieb der Holzhändler mit 'Cello-Anschäfter' an. Entsprechend der damals nicht den Vorlieben des Handels entsprechenden unregelmässigen Flammung war der Preis eher günstig. Aus jedem der Blöcke liessen sich ein Violaboden mit zugehörigem Zargensatz und Halsklotz gewinnen. Vergleiche z.B. mit der nachfolgenden Viola 1994. Es werden sich in meinem Werkkatalog weitere Instrumente mit vergleichbarer Zeichnung finden lassen, einige der schmucken Holzstücke lagern noch immer in meinem Holzspeicher.
Viola II 1994 (gross)
Besonders schmucke Hölzer mit tiefen Flammen verlangen bei der Bearbeitung oftmals Spezialwerkzeug. Die funktionale Qualität – spezielle Eignung als Klangholz – zeigen sowohl die Fichte (Deckenholz) und der Ahorn unter anderem mit den reichlich vorhandenen Markstrahlen an, den hellen Flecken, die auch Spiegelchen genannt werden. Der Ausschnitt des Bodens zeigt diese – neben den gestalterischen Details der Ecken und Einlagen – besonders gut. An der Gestaltung der Ecken lässt sich u.a. die Liebe zum Detail ablesen. Es war mir immer eine Selbstverständlichkeit, mit den Einlagen eine möglichst harmonisch verlaufende und handwerklich gut geschnittene Sicherung der Randpartie zu fertigen. Der Grundsatz für meinen Geigenbau 'Form follows function' gilt auch hier. Die Einlagen mit ihren Eckzusammenschlüssen sind nicht einfach 'l'art pour l'art'. Wichtiger ist mir, dass sie den Funktionen Schutz gegen Risse, akustische Eingrenzung der Klangplatten und zugegeben, auch dem Schmuck dienen.
Viola 1995 (mittelgross)
Die Grösse eines Instruments richtet sich einerseits nach den individuellen Bedürfnissen der Musizierenden, Korpuslänge und Saitenlänge werden dabei speziell beachtet. Sie beeinflusst andererseits gemeinsam mit der Saitenwahl auch die Klangfarbe (Timbre) des Instruments. Historische Quellen deuten darauf hin, dass verschieden grosse Instrumente im Altregister empfehlenswert sind, da sie zu einem abgerundeten Klang der gesamten Registerstimme beitragen. Die Klangfarbe wird durch das Klangspektrum, also das spezifische Gemisch aus Grund- und Obertönen sowie auch den Rauschanteilen bestimmt; dabei spielen der zeitliche Verlauf dieses Spektrums, die Lautstärke und weiter Parameter eine Rolle. Die Grösse einer Viola bestimmt also nicht allein über deren Klangqualität.
Violoncello I 1995
1995 entstanden mehrere Celli. Bei der Arbeit unterstützten mich meine damaligen Mitarbeiter Stefan Gerny und Stephan Schürch; dem Vorbild der alten Meisterwerkstätten folgend, fertigten wir die Instrumente 'Hand in Hand'. Für das Konzept und auch die Qualität zeichnete schliesslich ich mit meinem Namen. S/w Foto 'HRH mit Stimmsetzer' von Heinz Studer.
Violoncello II 1995
Auch bei diesem Violoncello erkennt man in der Seitenansicht, dass der Boden höher, die Decke zwar niedriger, dafür aber voller gewölbt ist. In der Weiterentwicklung der von Stradivari gebauten Violoncelli – er kürzte sein Ur-Modell im Verlaufe seiner Schaffenszeit wiederholt, blieb aber den eher niedrigen Wölbungshöhen stets treu – gelang es mir Ansprache, Kraft, Ausgeglichenheit und Wärme des Klangs in Anlehnung an Modelle der Ruggeri-Familie mit volleren Wölbungen und breiterer Brust zwischen den F-Löchern auszureizen. Diese gestalterischen und konzeptionellen Abweichungen lassen sich mit der modularen Vorgehensweise in Einklang bringen.
Violoncello III 1995
Der Zettel im Instrument 'Stephan Schürch / sub disciplina Hansruedi Hoesli / fecit anno 1995' deklariert die Mithilfe des damaligen, bereits sehr fortgeschrittenen Lernenden. Der Text auf dem Etikett verweist auf die übertragene, beziehungsweise übernommene Verantwortung durch Lehrmeister und Lernenden. Dem aufmerksamen Betrachter werden die in meiner Werkstatt gepflegten typischen konzeptionellen und gestalterischen Besonderheiten auch an diesem Instrument nicht entgehen. Kenner des Metiers sprechen in diesem Zusammenhang dann gerne vom Einfluss einer Schule. Meine Lehrmeister prägten mich durch ihren Geigenbau – mein Geigenbau prägte meine Lernenden und auch Mitarbeitenden.
Inspiration holen sich Geigenbauer.innen gerne auch an ihnen zugänglichen Instrumenten die als Referenzen gelten.– Das nicht Messbare, nicht Ablesbare, nicht Aufgeschriebene, also das in der gemeinsamen Arbeit Erfahrene und Erlebte geht in unserer dem 'schönen Schein' verpflichteten Zeit oft vergessen.
Das gemeinsame Erarbeiten eines Produkts ist das wirklich Prägende in einer Ausbildung. Das beginnt beim andächtigen Bestaunen eines Baum-Monuments anlässlich einer Waldexkursion und endet beim allabendlichen gemeinsamen Werkstattputz – dazwischen geschieht der Geigenbau. Bildungsfachleute sprechen in diesem Zusammenhang vom 'stillen Wissen'. Foto Bergahorn © HRH 2020
Violine 7/8 1996
Sich bewährende Modelle werden in die Angebotspalette aufgenommen. So baute ich die vor Jahren entwickelte 7/8 Geige bei Bedarf immer wieder als 'Variation' nach. Wir, ich und meine Mitarbeiter, konnten uns dabei an Form und Schablonen (mit den entsprechend darauf festgehaltenen Massangaben) orientieren und auch die zum Modell passenden Zulagen bei der Fertigung wieder benutzen. Entsprechend war das Vorgehen in den Meisterwerkstätten des Barock. Aus der Werkstatt von Antonio Stradivari z.B. sind uns Formen und Schablonen samt entsprechend passenden Massangaben und zugehörigen Zeichnungen überliefert. Das gründliche Studium dieser Quellen war für mein persönliches Vorankommen im Geigenbau ausschlaggebend – ich verbrachte bei meinen vielen Besuchen in Cremona immer wieder Stunden vor den entsprechenden Vitrinen im spärlich ausgeleuchteten Dachstock der Pinakothek 'Ala Ponzone'.
Innenform 7/8 Violine
Zur Wiederentdeckung alter Handwerkspraktiken hilft oft nur der experimentelle Nachbau. Diesem geht das Studium alter Werkzeuge, Formen und Hilfsmittel voraus. Museen in Cremona, Paris, London, Nürnberg etc. sind diesbezüglich eine wahre Fundgrube. Besonders Arbeitsspuren und Markierungen auf alten Formbrettern enthalten viele Informationen über Masse und auch Arbeitsabläufe, die sich an den Instrumenten nicht immer finden lassen.
Viola 1996/2012 (mittelgross)
Nach Carlo Antonio Testore, Milano (ca. 1740)– Boden und Schnecke aus Tessiner Kastanienholz – Fichtendecke vom Brienzer Bauwald – Zargen aus Buche vom Brennholzstapel – aus Dank an meine Lehrmeister Hugo Auchli, Ulrich Walter Zimmermann und 'Ambrogio Papaveri'...
Violoncello 2001
Dieses Cello entstand während meiner Zeit als Lehrmeister und Schulleiter an der Geigenbauschule Brienz. Assistiert hat mir dabei Hubert Liardon. Modell und Gesamtkonzept knüpfen an die Instrumente an, die ich Mitte der 1990er-Jahre baute. Die Eigenheiten der Decken- und Bodenwölbung, die Materialstärken der beiden Klangplatten in Kombination mit der breiten Brust zwischen den F-Löchern sind mitunter Werte für ein bewährtes Klangresultat.
Signatur
Instrumente, die einem bestimmten Geigenbauer oder einer bestimmten Werkstatt entstammen, sind in der Regel signiert. Zettel und Brandstempel und manchmal auch handschriftliche Einträge verweisen auf die Autorenschaft. Expertinnen und Experten beobachten neben diesen offensichtlichen Hinweisen aber immer auch die stilistischen Merkmale, die angewandten Arbeitsmethoden und -techniken sowie die verwendeten Materialien. Der Narren-Brandstempel passt als Symbol, finde ich, recht gut zu mir, meiner Arbeit und meinem Denken. Mein selten verwendetes Pseudonym 'Ambrogio Papaveri' bezieht sich auf Sant’Ambrogio in Mailand und den roten Mohn, der im Frühjahr die Felder links und rechts der Bahnlinien zu den oberitalienischen Städten Pavia, Bergamo, Brescia, Verona, Vicenza, Venezia, Piacenza, Crema, Cremona, Mantova... säumt.
Stege – Übermittler und Filter
Stege passen zum Instrument. Bereits mit der Planung des Instruments definiere ich den Standort des Stegs auf der Mensurlinie der Geigendecke. Und auch für den Steg gilt wieder, 'die Funktion bestimmt die Form'. Zusammen mit dem Steg gehört selbstverständlich der Stimmstock erwähnt – ein einfacher Fichtenholzstab, der richtig eingepasst und positioniert im 'Finetuning' eines jeden Instruments eine wichtige Rolle spielt.
Fachfotografien der Instrumente von Andreas Hochuli, Bern.